Die neun Bewusstseinsschichten
Wir befinden uns in einem ständigen Austausch mit unserer Umwelt, nehmen Signale und Informationen auf und reagieren entsprechend darauf. Aber unsere Wahrnehmung ist subjektiv gefärbt und wir denken und handeln auch nicht immer bewusst. „Die Tiefenpsychologie hat herausgefunden, dass sich auf den tieferen Ebenen unseres Geistes eine weite Welt des Unbewussten befindet, aus der gelegentlich mächtige Impulse aufsteigen, die sich der Kontrolle durch das rationale Denken entziehen.“, so stellt Daisaku Ikeda fest.[1] Trotzdem ist in der Lehre des Nichiren-Buddhismus eine Veränderung dieser unbewussten Prozesse möglich. Dies erläutert das Prinzip der neun Bewusstseinsschichten.
Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Tasten sind die ersten fünf Sinne. Die von ihnen empfangenen Informationen verarbeitet die sechste Bewusstseinsebene zu einem zusammenhängenden mentalen Bild und entwickelt ein spontanes Urteil dazu, wie beispielsweise Freude oder Widerwillen. Diese Reaktion wird wiederum beeinflusst von den tieferen Schichten.
Die siebte Bewusstseinsebene (Sanskrit: Manas) könnte man mit dem Unterbewusstsein vergleichen. Im Buddhismus wird es als Quelle des Identitätsgefühls gesehen und entspricht in etwa dem westlichen Konzept des Egos oder „kleinen Selbst“. Die Erfahrungen in unserem Leben prägen uns. In Wirklichkeit befindet sich unser Selbst aber in ständiger Veränderung, genau wie unser Körper oder die Umwelt. Wenn wir daher an einem bestimmten Selbstbild hängen und meinen, unsere Erfahrungen seien unser unveränderlicher Wesenskern, werden wir blind für unser wahres Potenzial. „Mit der Anhaftung an das Selbst der siebten Bewusstseinsebene sperren wir uns in einen winzigen Käfig innerhalb der gewaltigen Dimensionen des Lebens, so dass die uns innewohnende wahre Quelle der Menschlichkeit ungenutzt bleibt.“, so erklärt Daisaku Ikeda[2].
Die achte Bewusstseinsebene, das Alaya-Bewusstsein, ist der karmische Speicher, in dem sich alle Ursachen und Wirkungen aus unserem gegenwärtigen und aus vergangenen Leben sammeln, alle Gedanken, Worte und Taten und auch kollektive Erfahrungen der Familie, der Nation oder der Menschheit. Diese karmische „Saat“ beeinflusst ihrerseits wiederum die Wahrnehmung bzw. die Aktivitäten in den ersten sieben Bewusstseinsebenen, so dass wir alles durch unsere „Karma-Brille“ erleben.
Die Besonderheit des Nichiren-Buddhismus liegt in der Entdeckung der neunten Bewusstseinsebene. Weil es ein noch tieferes universelles Bewusstsein gibt, müssen wir nicht Wirkung für Wirkung „abarbeiten“, um unser Karma verändern zu können. Vielmehr können alle negativen Ursachen der Vergangenheit wie Sterne am Nachthimmel verschwinden, wenn die eine große Sonne der Buddhaschaft aufgeht. Das Amala-Bewusstsein ist diese Sonne der Buddhaschaft. Es ist die kosmische Lebenskraft, die das Leben existieren und sich manifestieren lässt. Amala bedeutet „rein“ und drückt aus, dass dieses Bewusstsein unberührt bleibt von dem karmischen Ballast, den wir mit uns herumschleppen. Das Amala-Bewusstsein ist wie eine klare Quelle, die aus der Tiefe unseres Lebens hervorsprudeln und alle Verunreinigungen, selbst das festgefahrenste Karma, wegschwemmen kann.
Nichiren verlieh dem Amala-Bewusstsein Ausdruck mit Nam-Myoho-Renge-Kyo. Damit öffnete er einen Weg, der es allen Menschen ermöglicht, zu ihrer neunten Bewusstseinsebene vorzudringen, die Buddhaschaft zu entfalten und ihr großes Selbst zum Vorschein zu bringen. Er schrieb: „Der Körper ist der Palast des neunten Bewusstseins, der unveränderlichen Wirklichkeit, die über alle Wirkweisen des Lebens herrscht.“ (SND-1, 1028). Und an anderer Stelle heißt es weiter: „Sie sollten Ihren Geist [Ihr Herz] auf das neunte Bewusstsein gründen und Ihre Ausübung in den sechs Bewusstseinsebenen vollbringen.“ (SND-1, 571). Wenn unser Leben fest im Amala-Bewusstsein verankert ist und wir die buddhistische Ausübung zur Grundlage unseres Alltags machen, können wir stets Zugang zu der unerschöpflichen Quelle universeller Lebenskraft bekommen, zu einem ewig fließenden Bewusstseinsstrom, der all unsere Bewusstseinsebenen reinigt und Weisheit, Kraft und Mitgefühl aus unserem Leben hervorbringt.
aus: Impulse für die tägliche Ausübung. Buddhismus heute
Zum Weiterlesen und Vertiefen:
Die Schriften Nichiren Daishonins, Bd. 1, S. 571 und S. 1028
Die Welt der Schriften Nichiren Daishonins, Bd. 2, S. 48 – 51
Das Buch von Glück, S. 195 – 210