Der Teufel und der Bodhisattva

Ein Beitrag der FORUM-Redaktion veröffentlicht in der Ausgabe November/Dezember 2023 (257), „Die Dynamik von Gut und Böse“

Wir sind daran gewöhnt, die Welt mit eindeutigen Urteilen zu ordnen. Wir sind entweder krank oder gesund, etwas ist hart oder weich, es ist Tag oder Nacht. Auch wenn wir etwas oder jemanden bewerten, verfährt unser Verstand meist nach dualistischem Muster. Er, sie oder es ist entweder gut oder böse.

Aber eigentlich gibt es diese harten Schnittstellen, die das eine vom anderen trennen, nur sehr  selten. So existieren beispielsweise Gesundheit und Krankheit nicht getrennt voneinander, sondern sind in ständiger Wechselwirkung miteinander verbunden.

Wenn Kleinkinder ihren ersten Herbst in der Kita erleben, sind sie fast durchgehend krank. Ihr Immunsystem befindet sich im Aufbau – es bildet sich heraus, indem es einen Infekt nach dem nächsten durchläuft und bezwingt. Tatsächlich ist es so, dass sich ein stabiles Immunsystem nur in der Interaktion mit Viren und Bakterien entwickeln kann. Anders ausgedrückt ist Gesundheit kein statischer Zustand, der aus sich selbst heraus existiert, sondern ein Prozess, der nur in Verbindung mit Herausforderungen ablaufen kann.

Und wie es für ein stabiles Immunsystem die Begegnung mit Keimen braucht, kann Entwicklung nur dort entstehen, wo es Reibung gibt. Schon bei der Geburt eines Kindes zeigt sich, dass Widerstand unerlässlich ist, um auf die Welt zu gelangen. Und genauso ist jede Entwicklung, die ein Mensch machen kann, immer von einem Prozess begleitet, in dem alte Muster oder Erfahrungen oder widrige Umstände überwunden werden müssen.