Forum-Redaktion

Die Sternstunden Wenn etwas Wirklichkeit geworden ist FORUM 256

Ein Interview der FORUM-Redaktion veröffentlicht in der Ausgabe September/Oktober 2023 (256) „Selbstwirksamkeit“


Gespräch mit Mareen Schneider, Expertin für Projektfinanzierungen im Wassersektor Mareen Schneider ist 51 Jahre alt und Volljuristin. Nach ihrem ersten Staatsexamen begann sie mit der Recherche zur internationalen Gesetzgebung von Finanzierungsstrukturen, ursprünglich für eine Dissertation. Nach dem zweiten Staatsexamen arbeitete sie zunächst bei Kanzleien in China und Hamburg, verwirklichte dann jedoch ihren Traum und machte sich selbstständig. 2010 gründete sie „Grasshopper Investments“, ein Unternehmen für private Finanzierungskonzepte und innovative Geschäftsmodelle im Wassersektor. In Indien verwirklicht die Frankfurterin nach langer Vorlaufphase jetzt ein Trinkwasser-Projekt für Angehörige der indigenen Bevölkerung.


Frau Schneider, warum beschäftigen Sie sich so intensiv mit dem Thema Wasser?

Es gibt einen riesigen Finanzierungsbedarf auf der Welt im Bereich Wasser und es gibt eine große Finanzierungslücke, also niemanden, der in diese Lücke vordringen will. Die großen Entwicklungsbanken geben vielen Ländern günstiges Geld für große Infrastrukturprojekte. Sogenannte Private Equity Fonds beteiligen sich  außerhalb der Börsen mit dem privaten Eigenkapital von Anlegern an Firmen, die irgendwie etwas mit Wasser machen. Aber viel mehr gibt es nicht — bis auf die Staaten selbst, die den öffentlichen Wassersektor finanzieren. Das heißt: Einzelne Projekte oder Konzepte oder private Investoren finden Sie in diesem Bereich nicht. Deshalb habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, privates Kapital zu mobilisieren und den Investoren dieses Thema näherzubringen. Was gar nicht so leicht ist. Bei Wind- und Solarenergie zum Beispiel kennen sich die Menschen inzwischen gut aus, sie wissen, welche Parameter sie abfragen müssen, um die Risiken eines Projekts abschätzen zu können. Bei Wasser ist das komplexer und anders. Wasser ist Leben, Wasser ist das wichtigste Lebensmittel — das verstehen die meisten. Aber wie  Wasserinfrastruktur genau funktioniert, das bleibt nebulös. Wie wird Wasser aufbereitet? Warum ist es verschmutzt, wer sind die Verursacher und wer muss welche Kosten dafür tragen? Wie macht man ein Wasserkonzept? Was kostet das Ganze? Und wer bezahlt es hinten heraus beziehungsweise wie wirkt sich das auf den Wasserpreis aus? Und Wasser ist doch eigentlich ein Menschenrecht, oder? Sie sehen schon, da komme ich in sehr komplexe Themen hinein. Das bedeutet andererseits aber auch, dass Wasser ein hochspannendes vielfältiges Thema ist und per se sehr sinngebend. Es geht um Trinkwasser und es geht um Menschen. Und Menschen sind überall gleich.

Sie setzen sich dafür ein, dass eine geschützte indigene Bevölkerungsgruppe in Indien mit sauberem Trinkwasser versorgt wird. Bitte erläutern Sie uns kurz Ihr Projekt. Wie kam es zustande und wie hat es sich entwickelt?

Als ich in den Wassersektor eingestiegen bin, bin ich schnell bei den Schwellenländern gelandet, wo der Bedarf an sauberem Trinkwasser riesig ist. Indien ist herausstechend, denn es hat so viele Einwohner wie ganz Afrika zusammen. Es hat zudem drei Vorteile: Indien ist eine Demokratie, ich kann dort als westliche Frau agieren und mit Englisch komme ich durch. 2015 habe ich damit begonnen, verschiedenste Konzepte zum Thema Trinkwasser in Indien zu entwickeln und durchzuspielen. Zum Beispiel die Möglichkeit, dass eine mobile Trinkwasser-Lufbereitungsanlage durch die Dörfer der indigenen Menschen fährt oder dass jedes Dorf eine solche Anlage erhält. Letztlich habe ich mich — zusammen mit Projektpartnern, die Sie dringend vor Ort brauchen — für die Lösung entschieden, Desinfektionsmittel zur Aufbereitung von Trinkwasser an die Haushalte zu verteilen. Wir produzieren das Desinfektionsmittel in Indien selbst und füllen es ab. Die registrierten Teilnehmer des Projektes, das sind Angehörige des Korku Stammes, beliefern wir regelmäßig mit dem Trinkwasserdesinfektionsmittel. Über sogenannte Awareness Campaigns erklären wir den Menschen zusätzlich die Bedeutung von sauberem Wasser für die Gesundheit und die Anwendung des Desinfektionsmittels.

Wo läuft Ihr Projekt in Indien?

Wir konzentrieren uns momentan auf den sogenannten Central Tribal Belt, den Lebensraum von indigenen Stämmen in Zentralindien. Wir versorgen im ersten Teil des Projekts in einer der rückständigsten Gegenden von Maharashtra rund 300 Dörfer mit circa 250.000 Einwohnern des Korku Tribes. Die Menschen kochen auf „Three Stone Ovens“, auf Öfen aus drei Steinen. Die Wasserquellen in den Dörfern bestehen aus Handpumpen, Brunnen oder Flüssen — und in allen Fällen muss das verkeimte Wasser trinkbar gemacht werden. Uns geht es dabei auch darum, das Abkochen von Wasser zu vermeiden, denn es verbraucht sehr viel Energie: Für einen Liter Wasser benötigen Sie ungefähr ein Kilo Feuerholz. Wenn Sie vier Liter Trinkwasser pro Person und Tag für 250.000 Menschen hochrechnen, kommen Sie auf eine Million Liter sauberes Wasser am Tag in dem Projekt — und Sie können sich vorstellen, welche Mengen Feuerholz erspart werden, die ansonsten aus den Wäldern dieses Naturreservats, dem Melghat Tiger Reserve, geholt und verbrannt werden würden. Wenn wir das mit dem Desinfektionsmittel für Trinkwasser, das wir kostenlos verteilen, verhindern können, werden große Mengen von Treibhausgasen nicht in die Atmosphäre abgegeben, und über die eingesparten CO2-Emissionen refinanzieren wir das Projekt. Projektmanagement und Monitoring sind allerdings sehr aufwändig, es geht immer nur Schritt für Schritt.

Daisaku Ikeda, der Präsident unserer Glaubensgemeinschaft, sagt, dass Selbstvertrauen keine Voraussetzung für das Beginnen ist, sondern dass es viel wichtiger ist, sich einer Herausforderung stellen zu wollen und den Mut aufzubringen, es immer wieder zu versuchen. Wie sehen Sie das?

Die Aussage von Daisaku Ikeda teile ich hundertprozentig. Die Hürden, die es gibt — neben all der Begeisterung, das ist nicht unerheblich. Es braucht den Mut, immer wieder weiterzumachen. Es braucht auch viel Konfliktfähigkeit und Durchsetzungsvermögen. Es ist nicht damit getan, eine Idee zu haben und sie umzusetzen. Ich bin in meinen Projekten mit so vielen Menschen befasst. Einige von ihnen sehen nur ihreigenes Thema oder wollen nur ihre eigenen Interessen umsetzen. Da tauchen auch übertriebene Vorstellungen und Forderungen auf. Über die Jahre habe ich gelernt, mich davon klar abzugrenzen. Abgrenzung ist unglaublich wichtig, man kann es nicht allen recht machen. Das ist unmöglich.

Woher nehmen Sie Ihre Motivation und Ihre Kraft?

Ich brenne für meine Ideen und Konzepte. Kreative Lösungen und neue Ansätze für die Herausforderungen im Wassersektor zu entwickeln, macht mir wahnsinnig viel Spaß. Ich lerne viel, jeden Tag, vor allem auch durch die Interdisziplinarität in den Projektteams. Wir blicken immer aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven auf das Projekt. Diese Vielseitigkeit ist grandios. Ich kann mich damit mindestens noch zwei Leben beschäftigen, so groß ist meine Begeisterung. Selbstverständlich bin ich mit meinen Projekten gewachsen. Als ich mein erstes Wasserkonzept am Finanzmarkt platziert habe, das war 2011, habe ich gemerkt, wie aufwändig und anstrengend ein solcher Markteintritt ist, wie viele hunderte Stunden ich alleine kommunizieren und überzeugen muss. Ich habe viel gelernt auf dem Weg, bin aber auch an meine Grenzen gekommen. Wenn ich für ein Thema brenne, muss ich gleichzeitig aufpassen, nicht zu verbrennen.

Welche Rolle spielt Selbstwirksamkeit für Sie?

Mein Lebensthema, das Wasser, ist sehr vielseitig und sehr sinngebend. Ich sage immer, Wasser hat Infektionspotenzial, das merke ich auch bei meinen Mitarbeitern. Irgendwie sind wir kein normales Unternehmen, wir empfinden unsere Arbeit alle als sinnstiftend und freuen uns, dass wir etwas im Leben machen können, mit dem wir etwas bewirken. Ich glaube, das ist grundsätzlich so bei jedem Menschen: dass er sich freut, etwas Sinnvolles zu tun. Die Sternstunden sind, wenn ich sehe, das etwas Wirklichkeit geworden ist. Ich zerbreche mir dauernd den Kopf, mache mir über dieses und jenes und folgendes Gedanken — und dann haben wir etwas umgesetzt und ich sehe es in der Wirklichkeit. Visionen haben, das hört sich immer so fantastisch an, aber das bedeutet ja nicht, heute die Idee, morgen das Ergebnis und dann wird die Flasche Sekt aufgemacht. Visionen sind ein permanenter Prozess.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Mir macht der kreative Prozess in den Projekten am meisten Spaß: eine Lösung zu entwickeln, sie zu konzipieren, die 20 Stellschrauben durchzudenken, an denen ich drehen kann. Dafür wünschte ich mir noch mehr Zeit. Denn in meinem Kopf habe ich noch mehr Ideen und noch mehr Konzepte. Und in meinem nächsten Leben werde ich wahrscheinlich Umweltwissenschaften studieren, damit lassen sich die ganzen Schnittstellen in den Wasserprojekten gut abdecken. Ich bin bereits ein Schnittstellenmensch geworden, aber ich bin natürlich keine Mikrobiologin, keine Ingenieurin, keine Chemikerin und auch keine Aktivistin. Ich wirke und überzeuge an einer anderen Stelle.

Vielen Dank für den Einblick in Ihr Leben!

Hier können Sie die Zeitschrift FORUM bestellen:

FORUM bestellen